An den Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Herrn Jürgen Kessing
Sehr geehrter Herr Präsident Kessing,
seit März 2020 liegt der gesamte Sport in Deutschland, darunter auch die Leichtathletik mit ihren vielen Laufveranstaltungen, durch die Corona-Pandemie brach.
Und es scheint kein Ende abzusehen sein, obwohl rührige Veranstalter zwischendrin immer wieder Möglichkeiten gefunden haben, im kleineren Rahmen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Läufe zu organisieren, bis auf wenige Ausnahmen allerdings ausschließlich nur für Elitesportler.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) ruft im DLV-Laufkalender 2020 herausfordernd auf: „Plane jetzt Dein Laufjahr“ und verweist auf eine Palette von fast 3000 „Top-Events“. Doch was ist aus diesen geworden? Werden es nach der großen Flaute im Jahr 2021 null sein? Zumal der DLV für 2021 schon die Erstellung eines gedruckten Terminkalenders aufgegeben hat. Mangels „unklarer“ Perspektive für Laufveranstaltungen, wie auf der DLV-Website zu lesen ist. „Hart getroffen“ ist die Umschreibung, die der DLV für die gesamte Branche und den brachliegenden Laufsport übrig hat.
Nebenbei sei erwähnt, dass 2006 noch 3.559 Läufe im DLV Laufkalender verzeichnet waren.
Gerne dürfen wir hier den DLV mit folgender Zielsetzung zitieren: „Heute finden unter dem Dach der DLV-Landesverbände rund dreieinhalb Tausend Lauf-Events (sic) mit über zwei Millionen Teilnehmern im Jahr statt. Der DLV, der autonom für das Laufen und für die weiteren leichtathletischen Disziplinen verantwortlich ist, fördert und entwickelt den Laufsport und sichert über ein breites Angebotsprofil die Rahmenbedingungen und Ressourcen des Laufsports“!
Haben wir uns hier verlesen? Hier ist gewiss zu fragen, wo die Fürsorgepflicht für den Laufsport geblieben ist. Bis heute ist der DLV (18. November 2020) mit diesem Thema völlig abgetaucht und sich seiner „Fürsorgepflicht“ für die nachweislich über 2 Millionen Teilnehmer und seiner Veranstalter und Vereine entzogen.
Für die Läuferinnen und Läufer „seiner“ Veranstalter und Vereine, die seit März 2020 wegen der behördlichen Einschränkungen nicht veranstalten konnten, hat der DLV bisher kein Wort des Bedauerns oder Erkennens von Schwierigkeiten gefunden. Noch weniger eine Hilfestellung angeboten, was unserer Auffassung seine Pflicht gewesen wäre.
Fakt ist, dass viele Veranstalter und Vereine Gefahr laufen, das Jahr 2020 finanziell nicht zu überstehen. Die Rechnung ist nämlich vielerorts eine einfache: Wenn keine Läufe organisiert werden können, dann fließen auch keine Einnahmen. Ausgaben aber sicherlich, denn Personalkosten und bereits geleistete Ausgaben summieren sich.
Der DLV kassiert seit Jahren die nicht gerade geringen Gebühren von den Veranstaltern. Wofür wurden diese Gelder der „Laufmaut“ bisher verwendet? Dazu schweigt man sich aus, stopft Haushaltslöcher und verwendet die eingenommenen Gelder keineswegs zur Stärkung des Laufbereichs. Transparenz sieht anders aus. Der Laufsport wird als willkommene Einnahmequelle zur Konsolidierung des Verbandsetats genutzt, statt diesen generell für den Laufsport und vor allem für die Entwicklung von Talenten einzusetzen, was die ureigentliche Aufgabe des Verbandes oder seiner LVs eigentlich wäre.
Schon alleine deshalb müsste es im Interesse des DLV liegen, diese günstige Einnahmequelle wieder zum Sprudeln zu bringen. Aber es gibt keine Impulse, weder für Veranstalter noch für Vereine. Es passiert nichts, dafür aber lautes Wegducken aus Darmstadt.
So konnte nur auf besondere Initiative der GRR-Mitglieder Volksbank Münster Marathon und Generali Köln Marathon letztlich mit dem DLV ein Marathon-Durchführungskonzept umgesetzt werden.
Fakt ist, dass die Läuferinnen und Läufer etwa 2/3 der Mitglieder des Verbandes ausmachen und die Vereine und Organisatoren der Läufe und Sportfeste das Aushängeschild des Dachverbandes sind. In der Pandemie aber hat man sie vergessen, kein Versuch ihnen zu helfen, sie bleiben auf sich allein gestellt. Stattdessen werden erhebliche Anstrengungen unternommen, in Braunschweig sterile Stadionmeisterschaften medial zu gestalten. Eine Vielzahl von Experten war über Wochen damit beschäftigt, ein Hygienekonzept zu erstellen. Hätte nicht Gesa Felicitas Krause massive Kritik über die Nicht-Berücksichtigung von Mittelstrecken im Meisterschaftsprogramm geübt, die Läufe wären außen vor geblieben. Hier wird die fehlende Wertschätzung für die Läufer und Läuferinnen deutlich.
Ohne Not wurden bereits im Juni 2020 die Straßenmeisterschaften abgesagt, eine späte Austragung der Titelkämpfe im Halbmarathon- und Marathon dabei ausgeschlossen. Damit wurde vielen Athleten jegliche Motivation zum intensiven Training genommen, zudem die Chance vertan, in hochkarätigen Läufen eine Leistung zu erzielen, die internationalen Ansprüchen genügt.
Außerdem wurde nichts unternommen, ein Hygienekonzept für Lauf-Veranstaltungen zu entwickeln, das auf die örtlichen Bedingungen angepasst den Gesundheitsämtern zur Genehmigung hätte vorgelegt werden können. Die Laufveranstaltungen sind gewiss in den Städten und Gemeinden die wichtigsten Image- und Sympathieträger der Leichtathletik, weil weitaus mehr Menschen daran teilnehmen als bei einem Sportfest im Stadion.
Statt Initiativen zu entwickeln, wie man Behörden oder die Politik auf Landes- und Bundesebene überzeugen kann, dass der Laufsport systemrelevant und der Bevölkerung durch Laufen in der Natur eine Stärkung des Immunsystems und der allgemeinen Fitness ermöglicht, hüllt sich der Dachverband der Leichtathletik weiterhin in großes Schweigen.
Während German Road Races (GRR) als die „Stimme des Laufsports“ in Deutschland mit Politikern und Bundestagsabgeordneten in mehreren Gesprächen versucht, finanzielle Hilfen für Laufsportveranstalter sicherzustellen und die Petition „Rettet unsere Läufe“ einführt, um die Öffentlichkeit zu informieren, dass die gesamte Laufbranche samt ihrer Dienstleister um das Überleben kämpft, sind derartige Aktivitäten seitens des Deutschen Leichtathletik-Verbandes unbekannt.
DLV und die Ländergliederungen zeigen sich zudem kritikresistent und strafen eher die „Vorlauten“ ab. Damit werden natürlich auch viele Progressive abgehalten, sich konstruktiv für die Entwicklung unserer attraktiven Leichtathletik einzubringen.
Stadionferne Veranstaltungen?
Der gesamten Laufsport wird zudem unter dem phantasielosen Fachbegriff „Stadionferne Veranstaltung“ geführt, obwohl viele Läufe im Stadion beginnen und oder dort das Ziel haben. Der Laufsport in seiner Gesamtheit wird dadurch diskriminiert und als ein quasi Nebenprodukt der Leichtathletik im Stadion gesehen. Zu den „Stadionfernen Veranstaltungen“ zählen Marathon, Halbmarathon, Berglauf, Traillaufen, Crosslauf, Ultralauf, Walking, Nordic Walking, Jogging und Wandern u.a.m., um die gesamte Bandbreite zu verdeutlichen.
Wenn hier gemäss der DLV-Statistik 2019 insgesamt 2.157.663 Sportler/-innen bei 3.416 Veranstaltungen beteiligen, dann ist das der Kern der Leichtathletik. Der DLV wird aufgefordert, den realitätsfernen Begriff „Stadionferne Veranstaltungen“ in „Laufsport“ umzubenennen.
Der Cross-Country-Lauf ist die ursprünglichste Form des Laufsports und die Basis des Laufens.
Der DLV hat es leider über die Jahre hinweg geschafft. den Crosslauf in die Bedeutungslosigkeit herunterzuwirtschaften, sodass es mit Ausnahme des Darmstadt-Cross keine vorzeigbaren Crossläufe in Deutschland mehr gibt. Es wäre zwingend, dass die Trainer auf Bundes- und Landesebene letztlich mit der Integrierung des Cross-Country-Laufes in das Programm der Olympischen Spiele verstärkt die Vorzüge eines Trainings im Wald und Gelände propagieren, um letztlich das Leistungsniveau auf der Bahn und der Straße zu verbessern.
Der DLV muss sich schnellstens bemühen, wenn er sich nicht als größter Fachverband der Welt international blamieren will, das lange verloren gegangene Terrain aufzuarbeiten, um mittelfristig wieder Anschluss an das Weltniveau zu finden.
Crosslauf in Darmstadt – Foto: wus-media – Wilfried Raatz
German Road Races fordert den DLV auf, den Kopf nicht weiter in den Sand zu stecken und sich vor den aktuellen Gefährdungen zu verstecken. Für den Laufsport sind von der Vielzahl der Verbandsärzte in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen konkrete tragfähige Hygienekonzepte zu entwickeln, denn die Pandemie ist sicherlich nicht schon morgen einfach weg.
Laufsport in der frischen Luft muss von den Gesundheitsämtern anders bewertet werden als Konzerte oder Opern in Sälen oder Stadien. Es muss zudem verdeutlicht werden, dass Veranstalter für Zuschauer am Streckenrand eines Halbmarathons oder Marathons nicht haften können, wohl aber für den Start- und Zielbereich, der mit einfachen organisatorischen Mitteln abzusperren ist.
Das bedeutet aber auch, dass es 2021 wieder Deutsche Meisterschaften im Cross- und Berglauf, über 10 km, Halbmarathon und Marathon geben muss. Der DLV sollte mit Konzepten der Verbandärzte in Verbindung mit den örtlichen Veranstaltern in der Lage sein, diese Meisterschaften zu garantieren, damit sich Athleten und Athletinnen gezielt vorbereiten können.
Es kann nicht im Sinne eines umsichtig agierenden Verbandes sein, dass mangels geeigneter Konzepte Absage auf Absage erfolgt, und dies nicht nur zum Schaden der Leistungsträger, sondern auch für die vielen ambitionierten Freizeitläufer.
Der DLV und die Landesverbände dürfen sich nicht als eine Wagenburg des quasi Unfehlbaren verstehen, sie sind für die Aktiven im Leistungs- und Freizeitsport, für die vielen kleinen, mittleren und großen Veranstalter und für die vielen ehrenamtlichen Helfer da und nicht umgekehrt.
Nur wenn sich die Einstellung der Führungskräfte der Leichtathletik-Verbände auf Bundes- und Landesebene durch Entwicklung neuer Ideen und Aktivitäten ändert, kann die leider zuletzt stärker festzustellende Lethargie und diese Virus-Pandemie überwunden werden.
Es reicht dabei bei weitem nicht, nach Monaten des Schweigens in einer Video-Botschaft die Leichtathleten pauschal aufzufordern, bei Einhaltung von Abstandsgeboten und Kontaktbeschränkungen weiter sportlich aktiv zu bleiben.
Horst Milde
Vorsitzender
German Road Races (GRR) e.V.